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Zwischenräume

"Du wirst zwischen den Stühlen sitzen!", sagte eine Freundin zu mir, die die regionale Bioszene gut kennt. Das war 2015 und den MWV gab es schon fast ein Vierteljahrhundert. Sie hatte recht.

Denn das, was zwischen Euch Mitgliedern passiert, die Beziehungsgeflechte, sind so etwas wie das Bindegewebe des MWV. Und da, in diesen Zwischenräumen, gibt es unterschiedliche Interessen, Wettbewerb, Spannungen und viele Gemeinsamkeiten: Unser Ziel ist es, den regionalen Bio-Lebensmittelmarkt so zu gestalten, dass wir – und ich zitiere aus unserer Satzung §3 (1) – „durch Koordination von Angebot und Nachfrage und unter Berücksichtigung der vorhandenen Kaufkraft eine wertgemäß gerechte Preisbildung“ erreichen. Woran soll das gemessen werden? „Der Erlös für ein wirtschaftliches Erzeugnis gibt dem Menschen, der diese Ware produziert hat, die Möglichkeit für sich und seine Familie davon den Lebensunterhalt zu bestreiten und seine Bedürfnisse zu befriedigen, bis er wiederum ein solches Produkt hergestellt hat. Im gerechten Leistungsausgleich (Entgelt) muss - als Ergebnis gegenseitiger Betrachtung und Beurteilung - auch die angemessene Befriedigung der Bedürfnisse des jeweils anderen möglich erscheinen.“
Aus heutiger Sichtweise bedeutet dies, dass auch die Landwirte einen Gewinn erzielen können müssen, mit dem sie Investitionen tätigen können, so dass der Betrieb nicht von der Substanz des Hofes leben muss.
Wenn die Mitglieder des MWV an Runden Tischen zusammen kommen, dann trefft Ihr Euch nicht nur als Handelspartner, die sich über Mengen, Qualitäten, Preise und Anbau austauschen, sondern Ihr begegnet Euch auch als Menschen. Es gibt also eine ökonomische und eine soziale Ebene, die Euch verbindet. Die ökonomische kann als Wertschöpfungskette gesehen werden, in der in einem linearen Prozess der Wert des Produkts durch zunehmende Veredelung vom Rohstoff bis zur Ware im Bioladen entlang der „Glieder“ gesteigert wird. Am Ende kauft der Konsument das Brot und sein Geld fließt durch alle Stufen zurück bis zu den Bauern – bei denen prozentual gesehen am wenigstens hängen bleibt. Denn: „Das Geld wird nicht in, sondern an der Landwirtschaft verdient“, wie auch Gründungsmitglied Jürgen Templin im Interview betont.
Statt als Wertschöpfungsketten können diese Beziehungen auch als Wertschöpfungsnetzwerke gesehen werden. So gibt es parallel zu dieser durch Geld vermittelten Beziehung eine soziale Komponente: Zufriedenheit und Sinn entstehen, wenn über den wirtschaftlichen Ertrag hinaus auch das Bedürfnis erfüllt wird, gesehen und anerkannt zu werden mit dem, was wir tun, schaffen, kreieren: Die schönsten Frühkartoffeln, die schmackhaftesten Tomaten und knackigsten Salate, das köstlichste Brot, die beste Marmelade, den leckersten Käse. Wir alle wollen Wertschätzung erfahren, es tut gut, wenn der Wert unserer Arbeit, unseres Tuns, unserer Kreativität gesehen und geschätzt wird - sei es bei der Reparatur der Beregnungsanlage bis spät in die Nacht; sei es in der Backstube, wenn sich das neue Mehl ganz anders verhält als das vom Vortag; sei es im Großhandel, wenn sich morgens drei Fahrer krank melden und keiner weiß, wer nachts die vollgepackten LKWs fahren wird.
Das zu leben – aus Wertschöpfungsnetzwerken auch Wertschätzungspartnerschaften zu machen – ist unser verbindendes Ziel. Beziehung braucht Vertrauen, braucht Transparenz. Sie wird tagtäglich in der Handelsbeziehung im Miteinander erfahren. Diese Beziehungsqualität als Grundlage für Fairness fragen wir anonym an den Runden Tischen ab und das unterscheidet uns von allen anderen Fairness-Initiativen, die mit externen Audits arbeiten.

Als Geschäftsführerin kann ich diese Beziehungen und ihre Lebendigkeit nicht „machen“. Sie müssen tagtäglich zwischen den Partnern gelebt werden. Es braucht dafür engagierte Unternehmer und Unternehmerinnen mit Herz, Weitblick und Gemeinwohlorientierung, die Partnerschaftlichkeit als Unternehmenszweck sehen, statt Gewinnmaximierung zum obersten Ziel zu machen. Aber ich kann Räume der Begegnung schaffen, überverbandlich und über einzelne Handelspartnerschaften hinweg: „Du bringst uns zusammen! Alleine schaffen wir das nicht“, wie mir Heike Böthig, Bäuerin aus Gut Peetzig, einmal sagte.
Aber das Zusammenkommen alleine macht Preise noch nicht fair und auskömmlich, ist nicht hinreichend. Immer besteht auch ein Machtungleichgewicht, gibt es Konkurrenz, Druck, die billigeren Wettbewerber, deretwegen der Preisdruck nach unten weitergegeben werden muss. Und dennoch ist die Wahrnehmung unserer Menschlichkeit eine notwendige Voraussetzung für Fairness. Lasst uns im dreißigjährigen Bestehen des Märkischen Wirtschaftsverbundes unsere Stühle zusammen rücken und diese wichtige Arbeit fortsetzen. Und gemeinsam zum Wohl alles Lebendigen beitragen! Es ist nötiger denn je. (Text: Sassa Franke)