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Verlässliche Netzwerke nötiger denn je! Interview mit Jürgen Templin und Johann Gerdes

Jürgen Templin (BAUERNGUT Libbenichen, zertifiziert durch Demeter) gehörte 1991 zu den Initiatoren und Gründungsmitgliedern des MWV und ist bis heute als kritischer Kopf im Verbund aktiv. Johann Gerdes (Beerfelder Hof, zertifiziert durch Demeter und Naturland) wurde vor zwei Jahren Mitglied des MWV und engagiert sich seit einem Jahr im Vorstand.

Susanne Salzgeber spricht mit beiden Landwirten über Vergangenheit und Zukunft von fair & regional.

Jürgen Templin vom BAUERNGUT in Libbenichen und Johann Gerdes vom Beerfelder Hof

Jürgen Templin, BAUERNGUT Libbenichen und Johann Gerdes, Beerfelder Hof

Susanne Salzgeber: Jürgen, welche Ideen, Ziele und Motivation standen bei dir hinter der Gründung des MWV vor 30 Jahren?

Jürgen Templin: Der Verband ist aus einer Not geboren, aus der fehlenden Wertschätzung landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Geld wurde – und wird – nicht in der Landwirtschaft verdient, sondern mit den Produkten aus der Landwirtschaft. Eigene Verarbeitung und die Direktvermarktung als gängiger Ausweg aus diesem Dilemma wollten wir nicht. Wir suchten stattdessen Partner für die Verarbeitung und Vermarktung. Ausgegangen ist die Initiative, den MWV zu gründen, von ökologisch arbeitenden Bauern und Gärtner*innen in Brandenburg.

Susanne Salzgeber: Wann habt Ihr dann Mitstreiter*innen aus dem Handel und der Verarbeitung gefunden? Und wen?

Jürgen Templin: Bereits 1992 ist es uns gelungen, Meinrad Schmitt (TERRA NATURKOST) und Joachim Weckmann (MÄRKISCHES LANDBROT) als Mitglieder zu gewinnen. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir als Landwirte vorrangig mit dem Boden, Pflanzen, Tieren des Hofes arbeiten konnten und uns nicht auf Direktvertrieb und Verarbeitung konzentrieren mussten, um eine höhere Wertschöpfung zu erlangen.

Johann Gerdes: Aber unser Verbund bietet noch mehr als die Vermittlung eines guten Vermarkters!

Jürgen Templin: Ja, es ging auch um das strukturelle Problem. Wir, die Mitglieder, sind der MWV, und nur wir gemeinsam können zu einer gemeinsamen Entwicklung beitragen, nur aus uns selbst heraus, nicht von außen herangetragen.

Susanne Salzgeber: Mit welcher Motivation bist Du, Johann, vor 2 Jahren dem MWV beigetreten?

Johann Gerdes: Bevor ich den Antrag auf Mitgliedschaft gestellt habe, beschäftigte ich mich schon ein Jahr intensiv mit dem MWV. 2011 habe ich in Brandenburg begonnen, in der Landwirtschaft zu arbeiten und festgestellt, dass wir vom regionalen Markt entkoppelt waren. Ich beobachtete, wie die Kolleg*innen vom MWV Handelsgebaren institutionalisiert haben, bekam auch das geduldige Ringen um die richtige Form mit und auch die Konflikte, die damit einhergehen. Entscheidend für meinen Beitritt war, dass die Akteure des MWV interessante und eigenwillige Persönlichkeiten sind, die sich für regionale Wertschöpfungs- und Wertschätzungsketten einsetzen. Da wollte ich gerne mitmachen.

Susanne Salzgeber: Und hat es sich für Dich auch gelohnt?

Johann Gerdes: Ideell und allein schon wegen des Austauschs mit den Kolleg*innen auf jeden Fall. Aber auch der Anteil meiner regionalen Vermarktung hat sich erhöht. Bei Kartoffeln stehe ich dank Terra schon bei 90 Prozent regionaler Vermarktung und bei Getreide dank Märkisches Landbrot zwischen 20 und 30 Prozent.

Jürgen Templin: Was Interessent*innen und Neumitgliedern klar sein sollte, wenn sie Mitglied beim MWV werden: Mit der Mitgliedschaft gibt es keine regionale Absatzgarantie. Das denken nämlich manche. Außerdem sind einige nur Mitglied, weil es für sie aus Marketing-Gesichtspunkten interessant ist, Produkte mit dem Zeichen „fair & regional“ auszustatten oder sich selbst als fair & regional zu bezeichnen. Aber darum geht es uns beim MWV nicht. Das Zeichen „fair & regional“ wurde nur geschaffen, um die faire und regionale Wertschöpfungskette, die ein Produkt durchlaufen hat, für den Endverbraucher auch sichtbar zu machen und nicht als Werbe-Selbstzweck.

Susanne Salzgeber: Das heißt, die Mitglieder sollten ihre Mitgliedschaft beim MWV gar nicht mit dem Logo „fair & regional“ zeigen dürfen?

Jürgen Templin: Natürlich spricht nichts dagegen, wenn man die Partnerschaft oder Mitgliedschaft im Briefkopf, auf der Internetseite oder an der Ladentür auch zusammen mit dem Logo „fair & regional“ kommuniziert.

Johann Gerdes: Das wichtigste für mich sind die Runden Tische, an denen die Akteure der Wertschöpfungskette teilnehmen, sich auf Augenhöhe begegnen und über den Bedarf, Mengen, Sorten und so weiter offen sprechen. Auch Preise müssen offengelegt werden, wenn es ein Mitglied am Runden Tisch einfordert.

Jürgen Templin: Ja, Preise sind selbstverständlich auch Thema, aber nicht das einzige. Diese Runden Tische haben wir von Beginn an als ein Mittel, eine Maßnahme für ein brüderliches – oder nennen wir es geschwisterliches – Miteinander gesehen. Ohne die Bereitschaft, hier offen und ehrlich miteinander umzugehen und auch die Bedürfnisse und Nöte des Gegenübers zu verstehen, geht es nicht, und es ist dann auch kein faires Miteinander möglich.

Susanne Salzgeber: An den Runden Tischen wird dann auch die Fairness bescheinigt. Aber ist das denn wirklich realistisch, wenn Marktungleichgewichte bestehen und zum Beispiel alle am Runden Tisch davon abhängig sind, von einem Händler oder Verarbeiter gelistet zu werden? Traut man sich da offen auszusprechen, dass man etwas gerade nicht fair findet?

Jürgen Templin: In den Runden Tischen bei Terra und Märkisches Landbrot haben wir uns diese Offenheit inzwischen wirklich erarbeitet. In den Runden, in denen das notwendige Vertrauen dafür noch nicht da ist, bedarf es allerdings einer guten Moderation, eventuell auch einer Art Mediation. Das sehe ich als die Aufgabe der Geschäftsstelle des MWV.

Johann Gerdes: Aus meiner Sicht braucht es eine klare Bearbeitung der Strukturen der Runden Tische. Wo sind die Schwachstellen der Wertschöpfungsketten, zum Beispiel bei den fairen Preisen? Was heißt fair und für wen? Wie bildet man generell Runde Tische? Ziel wäre es, zu Runden Tischen einzuladen, die auch kritische Punkte beinhalten und die Runden Tische fortführen, die seit vielen Jahren gut funktionieren.

Susanne Salzgeber: Welche Ziele und Ideale, die am Anfang standen, konnten bis heute verwirklicht werden – und welche blieben auf der Strecke?

Jürgen Templin: Bei der Tierhaltung ist eine ausreichende Wertschöpfung für die Landwirte nach wie vor leider noch nicht erreicht. Entweder müssen die Höfe durch eigene Vermarktung oder Veredelung mehr Einnahmen generieren oder die fehlende Wertschöpfung bei der Tierhaltung wird durch den Pflanzenbau quersubventioniert. Hier gibt es noch viel zu tun, auch für den MWV.

Susanne Salzgeber: Und was wurde bereits erreicht?

Jürgen Templin: Wir konnten ein Netzwerk aufbauen. Und für die Bereiche Brotgetreide, Gemüse und Kartoffeln haben wir bäuerliche Aktivisten mit Joachim Weckmann und Meinrad Schmitt verlässliche, langjährige Partner gefunden, die ausreichend eigene Wertschöpfung ermöglicht haben, so dass unsere wirtschaftliche Existenz gesichert und sogar eigene Entwicklung möglich war.

Johann Gerdes: Ja, so nehme ich es als neues Mitglied auch wahr. Die Ziele von damals haben heute noch ihre Gültigkeit, und daran gilt es zu arbeiten.

Susanne Salzgeber: Die Biobranche ist gewachsen und hat sich in den letzten 30 Jahren gewandelt. Welche Veränderungen würdet Ihr als positiv bewerten und welche als negativ?

Jürgen Templin: Wir Bio-Landwirte werden von den konventionellen Kolleg*innen inzwischen durchaus ernst genommen.

Johann Gerdes: Auch die Gesellschaft, die Endverbraucher*innen fordern ein Umdenken in der Landwirtschaft. Das Interesse an nachhaltig erzeugten Produkten hat deutlich zugenommen.

Jürgen Templin: Aber auch die wissenschaftliche Forschung, Züchter und Saatguterzeuger sowie Landtechnik-Hersteller bearbeiten zunehmend Fragestellungen des Ökologischen Landbaus, was uns mehr Möglichkeiten im betrieblichen Alltag verschafft.

Susanne Salzgeber: Das waren die positiven Entwicklungen. Und was sind aus Eurer Sicht die negativen?

Jürgen Templin: Das stärkere Umweltbewusstsein der Politik führt zu höheren Umweltauflagen und mehr Bürokratismus. Grund sind die strengen Dokumentationspflichten, die von den seit Jahren umweltbewusst arbeitenden Bio-Landwirt*innen genauso abverlangt werden, wie von den konventionell arbeitenden Kolleg*innen, die letztendlich diese verschärften Umweltauflagen provoziert haben.

Johann Gerdes: Stimmt, der Aufwand für Dokumentationen nimmt langsam überhand.

Jürgen Templin: Die qualitativen Unterschiede von Bioprodukten, auch innerhalb der Verbände, nehmen zu. Das lässt sich aber den Verbraucher*innen schwer vermitteln, ebenso wenig wie die daraus resultierenden Preisunterschiede.

Susanne Salzgeber: An was liegt das?

Jürgen Templin: Unter anderem auch daran, dass konventionelles Denken und Handeln auch in der Biobranche Einzug gehalten hat.

Susanne Salzgeber: Was meinst Du damit?

Jürgen Templin: Der ökologische Landbau wird immer mehr vornehmlich aus ökonomischer Sicht betrieben. Zum Beispiel können hochspezialisierte und technisierte Betriebe die Auflagen der EU-Ökoverordnung leicht erfüllen und dabei effektiv und ökonomisch erfolgreich arbeiten.

Susanne Salzgeber: Aber was ist daran schlecht? Solche größeren Betriebe ermöglichen doch auch, dass immer mehr konventionelle Flächen auf Bio umgestellt werden. Mit den kleinen Betrieben allein hätten wir wahrscheinlich zehn Prozent Ökoanteil an der Fläche niemals überschreiten können und würden auch keine 20 Prozent erreichen.

Jürgen Templin: Ja, mehr Biofläche ist erstmal grundsätzlich besser als konventionell bearbeitete Böden. Aber vielfach werden die neu hinzukommenden Betriebe den umfassenderen Zielstellungen des ökologischen Landbaus nicht gerecht. Der Ökolandbau ist keine vorrangig ökonomische Frage. Aber darin sind die spezialisierten, auf Effizienz getrimmten Betriebe vielen „traditionellen“ Bio-Landwirt*innen überlegen und haben in einem zunehmend stärker am Angebot ausgerichteten Markt die besseren Chancen. Und die vielseitigeren Biobetriebe, oftmals Bio-Pioniere haben das Nachsehen.

Johann Gerdes: Aber genau hier kommt doch der MWV ins Spiel, um mit seinem Netzwerk Ausgleich zu schaffen, damit alle überleben können. Wir Landwirte sind ständig unter Druck, unsere Erzeugnisse verkaufen zu müssen und können den Preis selten selbst bestimmen.

Jürgen Templin: Ja, üblicherweise bestimmt „der Markt“ den Preis. Aber „der Markt“ funktioniert eben nur für Aldi, Lidl & Co hervorragend, nicht für uns als Erzeuger von Lebensmitteln.

Johann Gerdes: Genau deshalb habt Ihr Euch doch vor 30 Jahren zusammengetan, um weniger abhängig von den nationalen oder internationalen Lebensmittelerzeugern zu sein, um regionale Strukturen zu schaffen und Wertschöpfungsketten aufzubauen. Hier muss der MWV ansetzen. Es gibt keine vergleichbaren Strukturen oder einen ähnlichen regionalen Verbund in Deutschland mit diesem Anspruch.

Jürgen Templin: Stimmt, das menschliche Interesse an uns als Bauern ist gelebte Realität im MWV, für uns vor allem bei Terra und Märkisches Landbrot. Das gilt es zu bewahren….

Johann Gerdes: …und alle Mitglieder mitzunehmen. Ein brüderliches, geschwisterliches Miteinander schaffen: Ich bin davon überzeugt, dass die Strukturen des MWV dies hergeben. Wir müssen die Mitglieder dazu motivieren, das Motto fair & regional gemeinsam zu leben.